Heute darf ich wieder einen Gastbeitrag eines fleißigen Lesers dieses Blogs vorstellen. So wird uns heute Holger Kellmeyer aus dem Odeon-Theater einen sehr spannenden Artikel zur Verwendung von Gladiatorenspielen in der Phantastik präsentieren, der am Ende wesentlich aktueller wird als man damals ahnen konnte, als Holger mir den Artikel zuschickt hatte. Ich werde die Ausführungen demnächst noch durch einen Beitrag zu einer Star Trek TOS-Episode ergänzen. Aber kommen wir nun endlich zu Holger Kellmeyer und den Gladiatoren:
Eine Frage der Ehre
Streng genommen müssen wir drei Spiele strenger voneinander unterscheiden. Die ludi circenses, die ludi scaenici und die ludi gladiatori: Die Rennen im Zirkus, die Theateraufführungen und schließlich die Gladiatorenkämpfe. Alle drei hatten ursprünglich eine tiefe, religiöse Bedeutung. Die Gladiatorenkämpfe waren eng verknüpft mit Bestattungsriten, gehörten also eigentlich in die Auseinandersetzung der Menschen mit dem Tod.
Die Ursprünge von mindestens zwei einander bekämpfenden Kriegern ohne eigentlichen, kriegerischen Sinn, sind in den Nekropolen von Paestum zu suchen, einer von den Griechen gegründeten Stadt, die gegen Ende des 5. Jhd. v. Chr. von den Lukanern erobert wurde. Auf etlichen, relativ gut erhaltenen Grabmalereien finden sich Darstellungen der athletischen Spiele, die zu Ehren der Bestatteten abgehalten wurden, in Anwesenheit eines scheinbar abseitsstehenden Dritten, eines Schiedsrichters? Das würde bedeuten, von Anfang an ging es bei den Gladiatorenkämpfen um eine an Regeln geknüpfte Zeremonie, die weit über die Idee eines Menschenopfers am Grab des Verstorbenen hinausgeht. Der lateinische Begriff, der am häufigsten für die Spiele verwendet wurde war „munus“ (Plural: „munera“). Das bedeutet zu Deutsch: „Ehrerbietung“, „Verpflichtung“.
Erst später wuchs aus dem Zweikampf ein gerichtliches Duell: Zwei eines Verbrechens beschuldigte Männer, die gegeneinander um das Gottesurteil kämpften.
Aber ursprünglich ging es um so viel mehr als nur um Schweiß und Blut und Spektakel. Einerseits wollte man vielleicht dem verstorbenen Verwandten den Übergang von der Welt der Lebenden ins Totenreich erleichtern und gleichzeitig konnte man die Gelegenheit nutzen, den eigenen Wohlstand zu demonstrieren. Und drittens: „Die Gladiatoren sollten im Rahmen der Leichenspiele in tapferen Zweikämpfen den Zuschauern die Tugenden vor Augen führen, die Rom groß gemacht hatten und für die der Verstorbene gestanden hatte: Kraft, Mut und Entschlossenheit. Eine Aufforderung insbesondere an die jungen Männer, dem Beispiel ihrer Vorfahren zu folgen.“ (Fik Mejer: Gladiatoren – Das Spiel um Leben und Tod; S. 24)
Photo: Holger Kellmeyer
Eine Frage des Lebens
„Panem et circenses“. Der römische Dichter Juvenal brachte die späteren Gladiatorenspiele auf den Punkt. Gebt dem Volk Brot und Spiele, auf dass es beruhigt ist und auf dass es die politische Stimme dem größten und beeindruckendsten Spektakelsponsor gibt. Es gibt viele mehr oder wenig fundierte Legenden: etwa, dass das bei den Spielen getötete Vieh kostenlos dem „Pöbel“ gegeben wurde. Gebt ihnen Brot, dass sie nicht Hunger leiden und sie werden keinen Aufstand wagen. Etwa die immer opulenter werdenden Showeffekte, die das berühmte römische Kolosseum etwa in ein gigantisches Wasserbecken verwandelten, so dass man eine berühmte Seeschlacht nachspielen konnte: Gebt ihnen etwas zum Staunen, zum Alltag-Vergessen, auf dass sie sich nicht gegen ungerechte politische Entscheidungen des Cäsars auflehnen.
In „Die Tribute von Panem“ wird diese Idee in eine opulente Dystopie verwandelt: Die Bewohner des Kapitols sind das Ziel einer rigorosen Menschenjagd in einer Arena, so groß, dass man fast von einem Land reden könnte. Sie sind das Ziel insoweit, weil ihnen nicht langweilig werden darf. Katniss, die Protagonistin, die unfreiwillig zu einer Gladiatorin geworden ist, denkt im Laufe ihres Kampfes darüber nach, was wohl passieren würde, wenn ein Tag ohne einen spektakulären Todesfall verginge: „Den Zuschauern im Kapitol könnte langweilig werden, sie könnten auf die Idee kommen, die Spiele wären fad. Und das dürfen die Spiele auf keinen Fall werden.“ (S.195) Denn aus Langeweile käme höchstens eine Konzentration auf die politischen und gesellschaftlichen Zustände. Da diese frappierend sind, wäre eine Revolution nicht auszuschließen. „Die Arenen sind historische Orte“ in Panem. „Beliebte Ausflugs- und Urlaubsziele für die Bewohner des Kapitols. Bleiben Sie einen Monat, sehen Sie sich die Spiele noch einmal an, machen Sie eine Tour durch die Katakomben, besuchen Sie die Schauplätze des Todes! Sie können sogar an Wiederaufführungen teilnehmen. Das Essen soll hervorragend sein, heißt es!“ (S.163f.)
Und doch entsteht in der Romanwelt eine bizarre Dialektik dieser perfiden Macht. Zwölf Distrikte sind es nämlich, die hierarchisch gegliedert sind. Das Kapitol ist der reichste und mächtigste Distrikt, der zwölfte – ausgerechnet jener, von wo Katniss kommt – ist der ärmste, erbärmlichste Distrikt und damit gleichzeitig jener, der am wenigsten die Chance hat, die Spiele zu gewinnen, geschweige denn, sie überhaupt als „Spiele“ wahrzunehmen. Nein: gleichzeitig wird das große Spiel in der Arena, der Gladiatorenkampf gefeiert und gefürchtet. Man fiebert um den Gladiator aus seinem Distrikt, drückt ihm die Daumen, dass er überlebt und erfreut sich gleichzeitig an so viel Terror – im wahrsten Sinne des Wortes.
Die Spiele lösen unsagbar viel in den Gefühlen der Zuschauer aus: Schadenfreude über gewonnene Vorteile gegenüber den ‚Feinden’. Blutgier, das einen hoffen lässt, dass alles möglichst grausam und hinterhältig abläuft. Angst. Eine sadistische Empathie. Und alles gekrönt von einem ‚Schiedsrichter’, der die Spielregeln jederzeit so verändern kann, dass alles im Dienste des Gottes der Spannung weitergeführt wird: Man ist mit einem Wort spektakelgeil in dieser Welt. Aus höher, schneller, weiter, besser ist grausamer, wilder, roher, blutiger geworden.
Eine Perversion von Thomas Hobbes‘ Leviathan, jener Staatszustand, der für Stabilität sorgen soll, um eben jenen Zustand – den Naturzustand – zu vermeiden. In Panem erfindet das Kapitol den Naturzustand als Leviathan.
„Die dunklen Tage dürfen sich nie wiederholen“, heißt es immer wieder, ehe für die Gladiatoren die dunklen Tage beginnen und das Kapitol im grellsten Neonlicht erstrahlt.
Photo: Holger Kellmeyer
Eine Frage des Todes
Die Gladiatorenspiele erfreuen sich einer großen Beliebtheit. Immer wieder taucht das Motiv in der Populärkultur auf. In Mad Max III (Beyond Thunderdome) war die Arena eine Donnerkuppel. Die Gladiatoren Vertreter zweier Machtblöcke: die Arbeiterklasse unter der Erde und die bizarre Fratze grundlegender Macht, gespielt von Tina Turner.
Bei Steven King – Verzeihung: Richard Bachmann – läuft der Countdown für einen Mann, der sich freiwillig zum Aussätzigen macht und vor laufender Kamera sowohl von professionellen Kopfjägern gejagt wird als auch von einer angeheizten Gesellschaft. Ein freiwilliger Gladiator mit kaum Überlebenschancen, weil es keine Arena mehr gibt, die die Welt vom Spektakel trennt: Das Publikum ist die Arena.
Und nun sehen wir, was die interessantesten Umsetzungen des Gladiatorenmotivs sind: jene, in denen die den Spielen zu Grunde liegenden Perversionen offen zu Tage treten. Das Grausame ist ja nicht, dass in einem sinnlosen und grundlosen Kampf Blut vergossen wird und zahllose Menschen sich daran erfreuen. Das Grausame ist der metaphysische Grund des Ganzen.
In „The Walking Dead“ wurde die Perversion dadurch dargestellt, indem tatsächlich wieder der Gladiatorenkampf auf seine Wurzeln zurückgeführt wurde. Die Arena war zweigeteilt: nämlich einmal ein tatsächliches Stadion, darin aber war ein kleiner Bewegungskreis durch an Ketten gehaltenen und im Kreis positionierten Walkers (i.e. Zombies) gestaltet. Erst in diesem kämpften zwei Menschen gegeneinander. Die Arena selbst ist also wieder einmal gefährlich, denn wenn man seinen Kampfplatz zu weit auskosten möchte, läuft man Gefahr, hinterrücks von dem untoten Arenapersonal gebissen und infiziert zu werden.
Schritt für Schritt können nach Belieben die Ketten etwas gelockert, der Kreis enger gezogen werden. Das entspricht den Schiedsrichterentscheidungen aus Panem.
Aber warum das Ganze? Warum sich schaulustig in einem Stadion der Realität aussetzen? Denn auch außerhalb des Stadions sieht die Welt nicht besser aus: ständig muss man gegen rivalisierende Menschen ums Überleben kämpfen. Mensch gegen Mensch herrscht hier wie dort. Und hier wie dort wird dieser Kampf gerahmt von gierigen Zombies.
Es ist, als würde der Initiator der Show – der einäugige Governor – nichts anderes tun, als die Große Welt im Kleinen wiederspiegeln.
Als ob man den Anfang von Goethes Faust – das Vorspiel auf dem Theater – absichtlich falsch verstanden hätte:
„Ich weiß, wie man den Geist des Volks versöhnt; / doch so verlegen bin ich nie gewesen: / Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt, / allein sie haben schrecklich viel …“ gelesen heißt es bei Goethe; der Governor sagt „erlebt“, wenn er sich rechtfertigt.
Eine Protagonistin erklärt, solche Shows würden die Menschen das Falsche lehren: nämlich, dass Walkers ungefährlich sind. Durch das ständige vor Augen halten der Gefahr und der ewigen Katharsis, dass die menschlichen Helden überleben, durch das vorgaukeln, man habe die große Naturkatastrophe unter Kontrolle, signalisiere man, dass man beruhigt schlafen könne, wenn man nur dem Governor vertraue. Das Gladiatorenschauspiel als einlullende Maßnahme in einer sonst lebensbedrohenden Umwelt.
Es ist also hier sowohl ein Spiel zwischen Kontrolle und Ohnmacht als auch jenes zwischen Leben und Tod.
Die ursprüngliche Idee des Menschenopfers zur Demonstration der Tugenden der Toten gerät in ein neues Licht, wenn die Gladiatorenkämpfe im Schatten der Untoten stattfinden.
Dass zudem der Governor die Spiele manipuliert hat, indem er die Walkers ihrer Zähne beraubt hat und so selbst ein Biss nicht bedrohlich für die Menschen sein kann, legt eine zweite Kontrollebene über das Spiel.
Am Ende muss sich dann herausstellen, dass kein Gladiator – vor allem der Hauptkämpfer Oberbösewicht Merle – sich von der Show je hat täuschen oder einlullen lassen. Der Governor etabliert mit den Gladiatorenspielen das althergebrachte Zweiklassensystem: Die Macht liegt bei den Showrunnern, alle anderen sind Publikum. Im Mittellateinischen bedeutet dieses Wort: das gemeine Volk.
Photo: Holger Kellmeyer
Eine Frage der Aktualität
Von Juvenal stammt das fabelhafte Wort: „Was die Frauen an den Gladiatoren lieben, ist das Schwert!“ Dieser Wortwitz geht nicht zu Deutsch. Tut mir leid. Was das lateinische Wort „piles“ für weitere Assoziationen hat, überlasse ich der Fantasie.
Es gab übrigens auch weibliche Gladiatoren. Insbesondere unter Nero soll es zu brutalen Kämpfen zwischen Frauen, sogar Kindern gekommen sein.
Soweit geht die Popkultur selten.
Soweit geht es auch heute nicht mehr in der Aktualität. Weibliche Gladiatoren lassen uns höchstens an Frauenboxen oder an Wrestling denken.
Gleichgeblieben ist, dass die Gladiatoren selbst selten frei waren. Sie hatten immerhin einen besseren Status als Sklaven. Sie waren berühmter. Und Berühmtheit kann auch Macht bedeuten.
Heute, in einer Zeit, in der kriegerische Tugenden kaum noch relevant sind, zählen die Tugenden von sportlichem Eifer oder dem Talent, einen Ball in ein gut bewachtes Tor zu manövrieren. Man mag erwidern, dass Sportler ja wohl keine Gladiatoren im herkömmlichen Sinn wäre. Der möge mir antworten, inwiefern ein Fußballer heutzutage frei genug ist, zu lieben wen er will – etwa auch homosexuell – oder sich politisch so zu äußern wie er möchte. Fußballer gelten auch heutzutage auf dem politischen Parkett als Ausnahmefälle. Sie sind nicht politisch aktiv, aber eine freie Meinung können sie allein deshalb nicht äußern, weil sie als Vorbilder für die Jugend gelten. An ihnen orientieren sich weiterhin die Tugendvorstellungen der Kinder. Und in einer Zeit, in der in einem Land verschiedene Kulturen nebeneinander eine Nationalmannschaft stellen können, weil das Land selbst kulturell durchmischt ist, prägt die Einstellung eines Nationalspielers durchaus die Tugenden der Heranwachsenden, die sich mit seiner Kultur identifizieren. Türkischstämmige Deutsche schauen voller Stolz auf türkischstämmige Spieler, italienischstämmige Deutsche auf italienischstämmige, und so fort.
Nur in einem gibt es tatsächlich eine demokratisierte Weiterentwicklung: den berühmten Daumen, der über Leben und Untergang des Gladiators entscheidet, reckt kein Cäsar mehr in die ein oder andere Richtung.
Das Volk reckt ihn.
Das Res Publikum.
Das Gladiatoren-Motiv sieht man wirklich häufig in Fantasy und SciFi. Ich nehme an, Du wirst die Gamesters of Triskelion anbringen – eventuell passt auch TNG: Code of Honor zum Thema, auch wenn hier natürlich eher die Ehren-Zweikampf-Komponente im Vordergrund steht.
Tosk, der Gejagte aus Deep Space Nine, genau wie VOY: Tsunkatse schlagen in dieselbe Kerbe, aus meiner Sicht. Herrje, nun werfe ich mit Namen und Folgen um mich, alles aus Star Trek!
Nebenbei fiel mir gerade dann auch noch die eine Folge aus „Angel: Jäger der Finsternis“ ein, in dem Gladiatoren-Kämpfe von übernatürlichen Wesen zur Unterhaltung von reichen Bürgern ausgetragen werden – die Gladiatoren von LA, wenn ich es richtig weiß. Auch wenn wenige Welten so komplett um Arenen konstruiert sind wie „Hunger Games“, kommt es doch dauernd vor. Mich persönlich hat das Thema als „übliches Serien-Dings“ für eine oder zwei Episoden nie so gereizt, aber bei den darauf basierenden Szenarien wie „Hunger Games“, wo man sich auch die Zeit nimmt, das Ganze auszuleuchten, da ist es reizvoll.
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Ich finde es in Serien nur selten intelligent eingesetzt. Meistens kommt es ziemlich plump daher und wird sofort mit der „Keule“ aufgelöst. In Walking Dead fand ich es recht intelligent, weil es eben in einer Zombie-Postapokalypsewelt sowohl spontan negativ empfunden wird, bei genauerem Nachdenken aber sehr sinnvoll und intelligent konzipiert.
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Da stimme ich Dir voll zu …
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